Donnerstag, 17. Juli 2014

Herfried Münkler - Germans to the front!


Wer Krieg als Mittel der Macht einsetzen will, der braucht - zumindest in demokratischen Gesellschaften - die Zustimmung der Bevölkerung. Nach zwei Weltkriegen, ausgelöst durch deutsche Regierungen, hält sich die Begeisterung für militärische Abenteuer bei uns noch in Grenzen. So kann Deutschland aber in der globalen Politik keine wichtige Rolle spielen und deshalb schlägt die Stunde der Ideologen. Wir sollen wieder Wehrhaft werden und diesem Ziel dient die aktuelle Debatte über die Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Mit seinem Buch "Die Schlafwandler" hat Christopher Clark die alte Mär vom "hineinschlittern" aller Regierungen in den Krieg erfolgreich wieder aufgewärmt. Unabhängig davon, ob er dies beabsichtigt hat, Clark entschuldet die aggressive Politik des Deutschen Reiches. Damit spielt er denen in die Karten, die heute ein verstärktes militärisches Engagement Deutschlands in der Welt fordern.

Ganz vorne agiert der Berliner Politikprofessor Herfried Münkler. Aktuell vesucht er Gegner der Flugdrohnen als "Stechschrittpazifisten" (Stuttgarter Zeitung, 15. Juli 2014) zu dikreditierten. Er nutzt dabei die klassischen Tricks der Feind-Propaganda: Gegner lächerlich machen und moralisch abwerten. Wie wär´s mit 'Friedens-Ajatollahs', 'Fundi Pazifisten' oder 'Anti-Kriegs-Hetzer'  


Die Linke und ihr Widerstand gegen die Drohnen sind für Münkler altmodisch, sie agierten gedanklich in einem Bereich "den es in dieser Weise gar nicht mehr gibt - nämlich bei den klassischen zwischenstaatlichen Kriegen". Heute gehe es aber um "das Sich-fit-Machen im Rahmen dessen, dass Militär zunehmend verpolizeilicht wird". Orwellsches Neusprech a la Münkler: Soldaten zu Fittnes-Trainern, Trommelfeuer zu Polizeiaktionen.

Wo sieht Münkler den Feind?


"Die ökonomische Prosperität als wichtigste Machtressource Deutschlands hängt nicht nur am Frieden in Europa, sondern auch an der politischen und sozialen Stabilität der europäischen Peripherie. Die größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts wird nicht in der Gefährdung von Grenzen durch feindliche Militärverbände, sondern im Überschreiten dieser Grenzen durch gewaltige Flüchtlingsströme bestehen, die, wenn sie massiv auftreten, nicht der wirtschaftlichen Prosperität Europas zugute kommen, sondern die sozialen Sicherungssysteme der europäischen Staaten überfordern und damit die soziale Ordnung in Frage stellen.

Gleichzeitig ist Europa infolge einer Wertbindungen nicht in der Lage, diese Flüchtlingsströme an seinen Grenzen zu stoppen und zurückzuweisen, wie man dies bei einem militärischen Angriff versuchen würde. Also bedarf es einer präventiven bzw. präemptiven Stabilisierungspolitik in der europäischen Peripherie, die verhindern soll, dass solche Flüchtlingsströme infolge ethnischer bzw. religiös-konfessioneller Auseinandersetzungen, wirtschaftlichem Elend sowie der damit verbundenen Perspektivlosigkeit oder aber machtpolitischer Rivalitäten in der Region entstehen.
Das ist eine gewaltige Aufgabe, da sie sich auf einen Halbkreis bezieht, der inzwischen in der Ukraine beginnt, sich über den Kaukasus sowie den Nahen und Mittleren Osten nach Ägypten erstreckt und von dort bis in den Maghreb reicht, wobei die Probleme des subsaharischen Afrikas zusätzlich noch dazukommen."  (1)

Unsere derzeitige "Wertbindung" ist also Schuld, dass wir die Flüchtlinge nicht alle ins Meer werfen oder mit Schüssen zurücktreiben können. Deshalb müssen wir in ihren Heimatländern intervenieren - Kolonialimus 2.0. An das Volk geht die Parole: Will Deutschland den 'Platz an der Sonne' weiter behalten, muss es sich vor den Armutsflüchtlingen schützen. Globalisierung und ungerechte Verteilung? Kein Thema, jetzt muss gehandelt werden, Soldaten in Schwarz-Rot-Gold sollen an den Brennpunkten für Ordnung sorgen. 

Anno 1900 lautete beim Boxeraufstand in China die Devise des Kaisers: "Germans to the front" und Wilhelm II. forderte in seiner berüchtigten Hunnen-Rede auf, keine Gefangenen zu machen. Im 21. Jahrhundert ist die Politik vorsichtiger geworden, unter Rot-Grün - Schröder/Fischer - gab 2002 der SPD-Verteidigungsminister Peter Struck die Parole aus: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Die Folgen konnte man nach dem Bombardement in Kundus sehen. Kein Schreibtischtäter fragt nach Opfern, weder die traumatisierten Kriegsheimkehrer, noch die Zivilbevölkerung vor Ort. 
 
Und was hat das mit der Debatte über die Verantwortung deutscher Politiker am Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu tun? Professor Münkler äußerte sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung beeindruckend offen (4.Januar 2014):
Frage: Was bedeutet eigentlich für Deutschlands Identität, wenn die Alleinschuld-Theorie nicht zu halten ist?
Münkler: Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen.

Frage: Sie meinen, Deutschland sei gefangen in einem Geschichtsbild, dass es schon 1914 die Welt ins Unglück geritten hat
Münkler: Wir neigen außenpolitisch zu dem Gedanken: Weil wir historisch schuldig sind, müssen, ja dürfen wir außenpolitisch nirgendwo mitmachen; also kaufen wir uns lieber frei, wenn es darum geht, an den Krisenrändern zu stabilisieren.

Volker Ullrich ("Die nervöse Großmacht") kommentierte am 16. Januar 2014 in der 'Zeit' den Versuch, die deutsche Kriegsschuld aus der Welt zu schaffen: "Dieser Wunsch scheint umso übermächtiger zu werden, je mehr Deutschland aufgrund seiner ökonomischen Stärke eine führende Rolle in Europa spielt." 

Münkler steht nicht allein, seit Jahresbeginn trommeln das Auswärtige Amt, Bundespräsident Joachim Gauck und die CDU-nahe 'Stiftung Politik und Wissenschaft' , um in der Bevölkerung Zustimmung für militärische Interventionen zu erreichen. (2) Dem steht noch die Erfahrung vieler Menschen an den Zweiten Weltkrieg und sein Elend entgegen. Aber diese Generation verschwindet biologisch. Selbst Helmut Kohl (Jahrgang 1930) mit seiner schauderhaften "Gnade der späten Geburt", wäre vor einer solchen nassforschen Politik zurückgeschreckt. 

Unbekümmert von geschichtlichen Katastrophen werkelt die politische Jeunesse Dorée in Berlin an neuen Instrumenten, die im schlimmsten Fall einen erneuten "Griff zur Weltmacht" heraufbeschwören könnten. Währenddessen steigt in den Ländern der Europäischen Union die Abneigung gegen die Dominanz Deutschlands. Und wir? Merken wieder mal nix! Hauptsache: "Wir sind Weltmeister" . Da fällt man beim Public-TV unangenehm auf, wenn die Nationalhymne nicht mitgesungen wird. 1914 - 2014   

(1) http://www.review2014.de/de/aussensicht/show/article/die-gefaehrliche-kluft-zwischen-schein-und-tun/pages/4.html
(2) "Kurs auf die Welt", Die Zeit, 6. Februar 2014

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